Befangenheitsantrag (Prof. C. Nestler) v. 26.1.2016

In dem Strafverfahren gegen Hubert Ernst Zafke

lehne ich für den Nebenkläger Walter Plywaski die drei Berufsrichter der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Neubrandenburg wegen Befangenheit ab.

1) Das Gericht hat dem Nebenkläger die ihm zustehenden Rechte von seiner Antragstellung auf Zulassung als Nebenkläger bis zum heutigen Zeitpunkt permanent und unter Missachtung der rechtlichen Vorschriften verwehrt.

2) Das Gericht hat es dem Nebenkläger dadurch unmöglich gemacht, auf die Verfahrensvorgänge, die nach Erhebung der Nebenklage erfolgt sind, Stellung zu nehmen. Das Gericht verweigert es dem Nebenkläger mit dieser Verfahrensweise bis auf den heutigen Tag, irgendeinen Einfluss auf das Verfahren zu nehmen.

3) Das Gericht demonstriert durch seinen Umgang mit dem Nebenkläger seine Missachtung der Belange und der besondere Situation des Nebenklägers, der als hochbetagter Mann, im überseeischen Ausland lebend, als Überlebender von Auschwitz, der unter der Tatbeteiligung des Angeklagten in Auschwitz seine nahesten Angehörigen verloren hat, an diesem Strafverfahren beteiligt ist.

4) Beantragt wird die Ablehnung aller drei Berufsrichter der Strafkammer. Obwohl viele der im folgenden gerügten Entscheidungen und Vorgänge wesentlich vom Vorsitzenden zu vertreten sind, so ist es jedenfalls aus der Sicht des Nebenklägers auszuschließen, dass die dargestellten skandalösen Entscheidungen und Vorgänge nicht von den berufsrichterlichen Beisitzern mitvertreten wurden.

Zu 1) Rechtsverweigerung

(1) Die Anklage ist mit Datum vom 23.02.2015 erhoben worden. Der Antrag auf Zulassung der Nebenklage ist mit Datum vom 25.08.2015 gestellt worden.

(2) Rechtsanwalt Walther hat dann am 12. 10. 2016 schriftlich angemahnt, dass er weder eine Eingangsbestätigung seines Antrags noch eine Stellungnahme zu seinem Antrag auf Akteneinsicht erhalten hat und hat beantragt, ihm zumindest Akteneinsicht in die Anklageschrift, die Einlassungen des Angeklagten und das Gutachten zur Verhandlungsunfähigkeit zu geben. Ihm wurde mitgeteilt, die Akten seien beim Oberlandesgericht Rostock. Das Oberlandesgericht hat dann mit Beschluss vom 27. 11. 2015 neben der Eröffnung der Hauptverhandlung auch die Anschlussberechtigung des Nebenklägers festgestellt.

(3) Auch seitdem der Nebenkläger durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts als Nebenkläger zugelassen ist, wird ihm seitens des Gerichts keinerlei Akteneinsicht gewährt. Mit der Zulassung stehen dem Nebenkläger aber die in § 397 Abs. 1 StPO genannten Rechte zu. Dazu gehört u.a. das Recht, „im selben Umfang“ wie die Staatsanwaltschaft rechtliches Gehör zu erhalten. Da dem Antragsteller die Gerichtsakten nicht vorliegen, wird es ihm unmöglich gemacht, zu den Vorgängen der Gutachtenerstellung zur Verhandlungs- unfähigkeit, die Gegenstand des Befangenheitsantrages des Staatsanwaltschaft sind, eigenständig Stellung zu nehmen. Weiterhin wird ihm das zentrale Recht der Akteneinsicht, dessen Gewährleistung es ihm überhaupt ermöglicht, sich auf die inzwischen für den 29. 02. 2016 terminierte Hauptverhandlung vorzubereiten, bis auf den heutigen Tag vorenthalten.

(4) Hinzu kommt, dass dem Antragsteller durch die Ladungsverfügung des Gerichts zwar mitgeteilt wird, dass am ersten Sitzungstag die Frage der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten geprüft werden soll und dass dazu der Sachverständige Prof. Dr. Teipel geladen ist und dass ein weiterer Sachverständiger hinzugezogen werden soll. Dem Antragsteller wird aber bis auf den heutigen Tag nicht mitgeteilt, wer der weitere Sachverständige ist, der hinzugezogen werden soll, und warum aus Sicht des Gerichts überhaupt en weiterer Sachverständiger erforderlich ist.

(5) Zwischenzeitlich hat das Gericht mit Schreiben vom 23.12.2015 an den Unterzeichner zum Ausdruck gebracht, dass es die vom Oberlandesgericht entschiedene Zulassung des Nebenklägers aufheben will. Dieser Vorgang bringt in doppelter Hinsicht zum Ausdruck, dass die Strafkammer dem Nebenkläger grundsätzlich seine Rechte verweigern will (dazu auch schon die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Schwerin vom 06.01.2016).

(6) Es mag hier dahinstehen, ob die beabsichtigte Rücknahme der vom Oberlandesgericht auf der Grundlage derselben tatsächlichen Voraussetzungen (Anklageschrift und Zulassungserklärung des Nebenklägers) getroffenen Zulassungsentscheidung prozessual überhaupt möglich ist (vgl. dazu die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vom 06.01.2016). Hinzu kommt, dass der Prüfungsmaßstab dafür, ob der Nebenkläger zuzulassen ist, allein die „rechtliche Möglichkeit“ ist, dass eine Nebenklageberechtigung besteht (Meyer- Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 58. Aufl., § 396, Rn 12). Dass die Strafkammer sogar die rechtliche Möglichkeit einer Nebenklageberechtigung bezweifelt, nachdem das Oberlandesgericht die Zulassung ohne jeden Vorbehalt entschieden hat, und damit inzident behauptet, das Oberlandesgericht habe die Anklage der Staatsanwaltschaft Schwerin nicht richtig verstanden, ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Strafkammer dem Antragsteller auf allen auch nur vorstellbaren Wegen seine Rechte verweigern will.

(7) Das zeigt sich insbesondere in den rechtlichen Ausführungen, die die Strafkammer für ihre Ansicht vorlegt, der Antragsteller sei nicht zur Nebenklage berechtigt. Die Anklage umfasst als Tatzeitraum ausdrücklich den 15. August 1944, an dem die Angehörigen des Nebenklägers in Auschwitz ermordet wurden. Es kann daher überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass der Nebenkläger nebenklageberechtigt ist. Hingegen behauptet die Strafkammer, Morde, die am 15. August begangen wurde, also innerhalb des Zeitraums, in welchem dem Angeklagten Beihilfe zum Mord vorgeworfen wird, seien von der Anklage nicht erfasst, weil die Anklage den Transport, der am 15. August eintraf, nicht explizit mitgenannt hatte. Die folgende Begründung ist – vorsichtig ausgedrückt – erstaunlich: Sie will sich auf eine umfangreich wiedergegebene Definition der natürlichen Handlungseinheit stützen, aus der sich allerdings für die Frage, ob auch die Morde am 15. August der Kognitionspflicht des Gerichts unterliegen, nichts ergibt. Und von einer natürlichen Handlungseinheit bzgl. der damit EINEN Haupttat (also nicht mehrerer Haupttaten, bezogen auf die Ermordung der Menschen jeweils der in der Anklage aufgelisteten Transporte) geht auch die Anklage aus (S. 76 f. der Anklage) und ihr folgend das Oberlandesgericht. Im nächsten Schritt seiner Darlegung betont die Strafkammer, dass das Oberlandesgericht ja auch auf die „zutreffende Entscheidung des LG München II“ (Verfahren gegen Demjanjuk) Bezug genommen habe. Das stimmt, allerdings hat das Oberlandesgericht allein auf die Ausführungen des LG München II zur Beihilfe Bezug genommen (Eröffnungsbeschluss des OLG, S. 4 unter 3. a.), und mit keinem Wort zur konkurrenzrechtlichen Bewertung der Taten des Angeklagten durch das LG München II. Die Strafkammer fährt dann mit der Feststellung fort, das LG München II habe die einzelnen Transporte „konkurrenzrechtlich in diesem Sinne eingeordnet“. Mit „in diesem Sinne“ kann im Kontext der Ausführungen der Strafkammer nur gemeint sein: als „natürliche Handlungseinheit.“ Nun hat aber das LG München II gerade keine natürliche Handlungseinheit angenommen und damit gerade das Gegenteil der konkurrenzrechtlichen Einordnung vertreten, die der Anklage in diesem Verfahren zugrunde liegt und die das Oberlandesgericht Rostock bestätigt hat. So hat das LG München II jeweils die Ermordung der Menschen eines Transportes als eine Tat angesehen, und dann Tatmehrheit in Bezug auf die weiteren 15 Transporte angenommen, und ist dann auch bzgl. der Beihilfe gerade nicht von einer natürlichen Handlungseinheit ausgegangen, sondern von 16 Fällen der Beihilfe (LG München, S. 197 der UA, unter 6.).

(8) Die Ausführungen der Strafkammer sind daher – man muss das so deutlich sagen – juristischer Unsinn. Über die natürliche Handlungseinheit, auf die sich die „Begründung“ stützt, kommt man gerade zu dem gegenteiligen Ergebnis, dass auch die Morde vom 15. August 1944 von der Anklage erfasst sind. Und die Auffassung des von der Kammer als richtig bezeichneten Urteils LG München II würde zwar in der Tat dazu führen, dass die Morde vom 15. August 1944 eine eigene (und damit nicht angeklagte Tat darstellen würden), aber eben gerade unter Ablehnung einer natürlichen Handlungseinheit, auf die sich die Strafkammer aber beruft. Weil die Anklage und ihr folgend das Oberlandesgericht den konkurrenzrechtlichen Weg des LG München II ausdrücklich (das wird in der Anklage umfangreich begründet) gerade nicht gegangen sind, hätte die Strafkammer allenfalls behaupten können, die Annahme natürlicher Handlungseinheit in der Anklage wie auch der Beschluss des Oberlandesgerichtes seien falsch.

(9) Das Schreiben vom 23. 12. 2015 ist von keinem der Richter der Strafkammer unterschrieben worden, sondern allein „Auf Anordnung“ durch einen Justizangestellten. Dass offenbar keines der Mitglieder der Strafkammer zu erkennen geben will, dass diese „Begründung“ von ihm stammt, mag als Symptom für die rechtliche Qualität der Ausführungen angesehen werden, die so unsinnig und abwegig sind, dass sie aus der Sicht des Antragstellers in den Bereich der zumindest bedingt vorsätzlichen Rechtsmissachtung einzuordnen sind.

Zu 2) Verweigerung der Mitwirkung am Verfahren

(10) Die Vorgänge, die zu der Feststellung von Verhandlungsunfähigkeit durch einen Sachverständigen und die Strafkammer und auf dieser Grundlage zur Entscheidung geführt haben, das Verfahren einzustellen, hat die Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerde ausführlich dargestellt.

(11) Aus der Sicht des Nebenklägers stellt sich die Vorgehensweise des Gerichts dar als ein Vorgang, der noch in den Schatten stellt, mit welchen Strategien in den NS-Verfahren der 60ger und 70ger Jahren auf notorische Weise die Angeklagten wegen Verhandlungs- unfähigkeit einer gerechten Strafverfolgung entzogen wurden. So haben es Verteidiger damals durch zusätzliche Gutachten häufig erreicht, dass Verhandlungsunfähigkeit angenommen wurde. Dass ein Verteidiger nun ein von ihm in Auftrag gegebenes Gutachten einfach an den gerichtlich beauftragten Gutachter weiterleitet, ohne dass dieser schon sein Gutachten erstattet hätte, ist gewissermaßen eine Steigerung solcher Strategien. Die Tatsache, dass der Verteidiger sodann lediglich dem Gericht den Vollzug dieser Zuleitung des Verteidiger-Gutachtens mitteilt und dass das Gericht diesen Vorgang einfach kommentarlos zur Kenntnis nimmt, ohne dem gerichtlichen Sachverständigen eine Weisung zu erteilen, wie dieser mit einem solchen Verteidiger-Gutachten umzugehen hat, macht das Gericht zum stillen Förderer dieser neuen Strategie.

(12) Dass das Gericht weiterhin das Ziel der Einstellung wegen Verhandlungsunfähigkeit anstrebt, zeigt die Mitteilung in der Ladung zur Hauptverhandlung, aus der deutlich wird, dass das Gericht sich keinesfalls an die Vorgaben des Oberlandesgerichts halten will: So soll ja – anders ist die Ladung nicht zu verstehen – am 1. Verhandlungstag die Verhandlungs- unfähigkeit neu festgestellt und ggf. am zweiten Tag dann der hinreichende Tatverdacht, obwohl das Oberlandesgericht ihn bejaht hatte, abgelehnt werden.

(13) Und dass die Strafkammer unbeirrt an ihrem Kurs festhält, den Nebenkläger möglichst von jeder Beteiligung am Verfahren auszuschließen, zeigt der Umstand, dass das Gericht in der Ladung nicht die Identität des weiteren Sachverständigen mitteilt, dessen Funktion ja offensichtlich darin bestehen soll, das Ergebnis, zu dem der vom Oberlandesgericht mit der Exploration des Angeklagten beauftragte Sachverständige gelangt war, in Frage zu stellen.

Zu 3) Missachtung der Situation des Nebenklägers

(14) Der Strafkammer liegt eine Vertretungsvollmacht des Unterzeichners für den Nebenkläger vor, die auch eine Zustellungsvollmacht beinhaltet. Dennoch hat die Strafkammer die Ankündigung des Widerrufs der Nebenklagezulassung vom 23.12.2015 und die Ladung zur Hauptverhandlung vom 05.01.2016 nicht den bevollmächtigten Anwalt, sondern dem Nebenkläger in den USA einfach in deutscher Sprache formlos zugesandt. Der Nebenkläger beherrscht die deutsche Sprache nicht. Letztmals vor Erhalt dieser beiden Schriftstücke des Gerichts war er 1944/45 dazu gezwungen, sich mit der deutschen Sprache auseinander zu setzen. Der Nebenkläger war daraufhin vollkommen verwirrt und hat fassungslos bei seinen Anwälten nachgefragt, worum es denn ginge.

(15) Dieser Vorgang zeigt überdeutlich, dass diese Strafkammer auch nicht im Mindesten bereit ist, auf die Belastungen Rücksicht zu nehmen, die ein derartiges Verfahren für einen Auschwitzüberlebenden in hohem Alter mit sich bringen kann. Wie soll er denn ohne vorherige anwaltliche Beratung verstehen, dass er vom übergeordneten Gericht (nun endlich) als Nebenkläger zugelassen wurde, aber dass das Tatgericht (und dann auch noch mit dieser ganz abstrusen Begründung, vgl. oben bei [7] und [8]), ihm die Nebenklageberechtigung aberkennen will? Wie soll er verstehen, dass er zu einer Hauptverhandlung geladen wird, obwohl das Gericht, das ihn lädt, ihm seine Berechtigung absprechen will? Wie soll er verstehen, dass nach dem Inhalt der Ladung das Gericht mit allen Mitteln die Einstellung des Verfahrens herbeiführen und gerade keine Beweisaufnahme durchführen will, ihm aber in der Rechtsbelehrung mitgeteilt wird, er könne Beweisanträge stellen?

(16) Letztlich kann man froh sein, dass das Gericht die Schriftstücke dem Nebenkläger nicht in die englische Sprache übersetzt zugestellt hat. Aber diese Bemerkung zeigt die Situation, in der sich der Nebenkläger befindet: Der Nebenkläger muss in diesem Verfahren geradezu davor geschützt werden, dass er von dem Inhalt der Entscheidungen des Gerichts ohne vorherige rechtliche Beratung erfährt.

Zusammenfassend:

(17) Aus der Sicht des Antragstellers ist ein Gericht und sind die Richter, die ihm gegen eine eindeutige Rechtslage seine Berechtigung als Nebenkläger verweigern wollen, die ihm im Vorfeld der Hauptverhandlung weiterhin die ihm zustehenden Rechte nicht gewährleisten und die eindeutig zu erkennen geben, dass sie nicht im Mindesten bereit ist, sich auch nur ansatzweise auf die persönliche Situation des Nebenklägers einzustellen, eindeutig befangen.

(18) Die offenkundige Befangenheit der Richter führt dazu, dass der Unterzeichner dem Nebenkläger raten muss, nicht zur Hauptverhandlung zu erscheinen, wenn diese vor diesen Richtern stattfindet. Denn es ist vollkommen unkalkulierbar, was der Nebenkläger weiterhin von diesen Richtern sowohl an Rechtsverweigerung als auch an Missachtung seiner Situation zu befürchten hat.

(19) Der Unterzeichner hat über 8 Jahre hin den Umgang von Staatsanwaltschaften und Gerichten mit Nebenklägern in Verfahren wegen NS-Verbrechen miterlebt. Über manche Entscheidung hat er sich geärgert, über manche hat er sich gefreut. Aber eine Situation, wie sie die Richter der Schwurgerichtskammer beim Landgericht Neubrandenburg hergestellt haben, dass man Ihnen weder zutrauen kann, sich an das Recht zu halten, noch, dass sie auch nur irgendwie Rücksicht auf die Situation des Nebenklägers nehmen – das ist eine neue Erfahrung, deren Erleben dem Antragsteller besser erspart geblieben wäre.

Zum Verfahren: Zur Glaubhaftmachung des Tatsachenvortrages beziehe ich mich auf den Akteninhalt, die in Bezug genommenen Urkunden und die einzuholenden dienstlichen Erklärungen der abgelehnten Richter. Letztere bitte ich mir zur Stellungnahme zukommen zu lassen. Die zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch berufenen Richter bitte ich vorab namhaft zu machen.

Cornelius Nestler