Erklärung nach § 257 Abs. 2 StPO des Nebenklägervertreters Thomas Walther zur Erklärung des Angeklagten vom 29. April 2016

Der Massenmord in Auschwitz hat stattgefunden. Hanning bestätigt dies in einer ansonsten inhaltsarmen Erklärung. Das ist politisch aus dem Munde des früheren SS-Unterscharführers für die Holocaustleugner ein wichtiges Signal.

Jedes weitere Wort des Angeklagten hat mit ihm selbst und seinem eigenen Tun Auschwitz kaum etwas zu tun oder kann an distanzierter Verharmlosung kaum überboten werden.

Einigen Nebenklägern, die hier ausgesagt haben und mit denen ich in den vergangenen 2 Wochen sprach, ist es wichtig, dem Gericht das Folgende zu sagen:

„Wir sind entsetzt! – Nach Hannings eigenen Worten ist angeblich der grausame TOD all unserer Familien und hunderttausender von Opfern lediglich beim [Zitat] „Hin- und Herfahren oder Abtransport von Leichen“ [Zitatende] begegnet. Darüber berichtet er mit der Erklärung, dass er dies „mitbekommen“ habe. Und er sagt, manche Kameraden seien am Tötungsgeschehen näher und andere weniger nah dran gewesen. Wie nah er selbst an diesem grausamen Töten war, verschweigt er. Der Angeklagte erweckt nach seiner Eigendarstellung den Eindruck, allenfalls ein distanzierter Besucher gewesen zu sein, der dort spazieren ging.

Keines Blickes hat er uns gewürdigt, als wir das Leben, Leiden und Sterben in Gestalt eines permanent andauernden Mordgeschehens schilderten. Durch die Geschichtenerzählungen des Herrn Hanning fühlen wir uns erneut missachtet, wie er es durch seine Blickrichtung bei unseren Vernehmungen bereits deutlich machte.

Hannings Erzählungen in Detmold haben die gleiche Zielrichtung wie die Worte, die er und seinesgleichen vor Jahrzehnten uns in Auschwitz vermittelten: Zuhörer werden getäuscht. Damals ging es darum uns und unsere Familien zu täuschen, was uns in Auschwitz geschehen sollte. Heute sollen wir – und insbesondere auch das Gericht – darüber getäuscht werden, was uns in Auschwitz unter Hannings Mitwirken tatsächlich geschah.“

Als Anwalt von 26 Mandanten möchte ich hinzufügen, dass es einen Moment in der Erklärung gab, der Hoffnung aufkeimen ließ, als er nämlich sagte:

„ … Uns war aber schon bekannt, dass ein Großteil der Leute, die mit den Zügen ankamen, getötet wurden.“ …. Und dann fährt er unmittelbar fort mit dem Satz „Ich kann mich an einen Vorfall erinnern“. Spontan ging ich davon aus, dass dies nun endlich eine Überleitung zu seiner eigenen „Nähe“ zu Tod und Vernichtung werden wird.

Das Gegenteil geschieht! – Ein Fall von „Fluchthilfe“ raus aus dem Lager Auschwitz in Richtung Polen wird beschrieben. Hanning erklärte einer Frau, wie sie langsam und nach unten schauend sich aus dem Lager davon machen könne.

Ich rede nicht von der Glaubwürdigkeit dieser Geschichte. Ich spreche von Hannings Selbstverständnis, das es so wichtig macht, uns eine solche Story an dieser Stelle zu erzählen.

Entgegen seiner Ankündigung konnte er sich nicht nur an „einen Vorfall“ sondern gleich noch an einen zweiten Vorfall erinnern!

Und hierbei riskiert Hanning als Unterführer mit einer „Geschichte“ scheinbar seine gesamte Existenz! – So spricht er zweimal verbotswidrig an unterschiedlichen Tagen mit einem Gefangenen, von dem wir nur erfahren, dass er aus Bielefeld stammt und die LKWs der Fahrbereitschaft reparierte. Ob er evtl. ein ehemaliger jüdischer Rechtsanwalt aus Bielefeld, ein Kommunist oder gar beides gewesen ist? Wir wissen es nicht. Und Hanning befördert angeblich einen Brief – oder einen Kassiber – an dessen Ehefrau in Bielefeld. Evtl. war es ja auch die Mitteilung der Fahrtrouten der Fahrbereitschaft in die Gaskammern zur Weiterleitung an die Widerstandsorganisation „Rote Kapelle“ ?? – Wir wissen es nicht.

Ich nehme nicht mein Plädoyer vorweg, wenn ich Ihnen Herr Hanning als Zwischenbilanz sage: Sie verharren ohne Antwort auf zahlreich drängende Fragen bei ihrer minimalisierenden Erklärung! Eine große Chance haben sie vertan. Viele werden Sie in diesem Verfahren und im Leben nicht mehr bekommen.

Sie sprechen von Reue und verweisen auf die Verantwortung der SS als verbrecherischer Organisation. Sie vergessen, dass es alle Männer der SS in Auschwitz waren, die verantwortlich handelnd die Mordtaten begingen und unterstützten.

Sie sprechen von Scham, weil Sie ein „Unrecht geschehen ließen“ und vergessen, dass Unrecht nicht abstrakt geschieht sondern Menschen dies Unrecht begangen haben.

Sie entschuldigen sich für ihr „Verhalten“ und vergessen, dass es hunderttausende von Taten des Mordens mit unzähligen Unterstützungshandlungen waren, an denen auch Sie beteiligt waren.

Eine weitere Chance wird sich Ihnen ganz sicher noch eröffnen. In Ihrem „Letzten Wort“ werden sie noch all das ergänzen können, zu dem Sie bisher lediglich „Geschichten eines Spaziergängers in Auschwitz“ erzählten.